Zielsetzung und Arbeitsprogramm
Im Rahmen des Projekts soll das Lautdenkmal erstmals komplett digitalisiert und ediert werden, inklusive der nachträglich erhobenen Aufnahmen für Österreich und das Sudentenland. Zudem soll das erhaltene Kontextmaterial (Transkriptionen, Übersetzungen, Aufnahmeprotokolle, Korrespondenz) digital gesichert und erschlossen werden. Weiterhin geplant ist die Rekonstruktion der Zeitungsüberlieferung zum Lautdenkmal, das – dem Eigeninteresse des Reichsbundes der Deutschen Beamten geschuldet – als Mittel der nationalsozialistischen Propaganda eingesetzt wurde.
Im Vordergrund der Arbeiten steht dabei eine historisch-kritische Aufarbeitung der Sammlung, ihrer Entstehungsbedingungen und ideologisch motivierten politischen Instrumentalisierung durch den Beamtenbund. Gerade eingedenk des Potentials der Sammlung für die Regionalsprachenforschung ist dabei eine umsichtige historische Kontextualisierung des Materials und seines politischen Gehalts vonnöten.
Über die Rekonstruktion und Edition hinaus soll das Material als Grundlage für verschiedene Analysen genommen werden:
- Regionalsprachenforschung: Da es sich um die älteste, flächendeckend erhobene direkte Erhebung zu den Dialekten des Deutschen handelt, verspricht das Korpus wertvolle Erkenntnisse in Bezug auf die Gestalt der deutschen Mundarten unmittelbar vor bzw. zu Beginn ihrer Überformung durch die Standardsprache.
- Ethnographie: Die in den Aufnahmen versammelten Erzählungen versammeln ein breites Spektrum von Handwerksbräuchen, Sagen, biographischen Begebenheiten und anderem Lokalkolorit, das zur ethnographischen Erkundung einlädt.
- Mentalitätsgeschichte: Die in den Aufnahmen immer wieder geäußerten politischen Aussagen können als Beispiel für die Gleichschaltung individueller Erlebenshorizonte in einer Diktatur untersucht werden.
- Wissenschaftsgeschichte: Besonders die Konzeption und Instrumentalisierung der Sammlung in den Medien verspricht interessante Einblicke in das Selbstverständnis der beteiligten Wissenschaftler, etwa hinsichtlich der Rolle von Parteijargon in den Aufnahmen, der in der Presse als „Ausweis der Lebendigkeit der Mundart“ gefeiert wurde.
Damit nimmt das Projekt einen fächerübergreifenden und ideologiekritischen Standpunkt ein, der sowohl der Bedeutung des Materials für die Regionalsprachenforschung als auch seiner Entstehungsgeschichte, seiner Instrumentalisierung und der im Material zum Ausdruck kommenden zeitgeschichtlichen und ethnographischen Aspekte Rechnung trägt.
Einen ersten Einblick in das Erkenntnispotential und die Probleme des Materials gibt die Pilot-Studie „Wenn jüm von Diekbou hört und leest …“ – Itzehoe im „Lautdenkmal reichsdeutscher Mundarten zur Zeit Adolf Hitlers“, die im Jahresheft 2012 der Zeitschrift Niederdeutsches Wort erschienen ist.
Stand der Bearbeitung
Das Projekt befindet sich derzeit in der Erschließungsphase:
- Auf Basis der verfügbaren Materialien wird in den nächsten Monaten eine digitale Edition erfolgen. Ziel ist es, zu allen verfügbaren Aufnahmen phonetische Transkriptionen und Übersetzungen bereitzustellen. Dieser Arbeitsschritt erfolgt in Zusammenarbeit mit Fachkolleg.innen, die Transkriptionen für Aufnahmen aus ihren jeweiligen Arbeits- und Interessengebieten beisteuern.
- Die Digitalisierung der Platten und Tonbänder für beide Erhebungsserien durch das Phonogrammarchiv Wien (Nadja Wallaszkovits) ist abgeschlossen. Nun soll die Sammlung um letzte fehlende Aufnahmen aus anderen Beständen ergänzt und aus allen verfügbaren Aufnahmen ein möglichst vollständiges Korpus zusammengestellt werden.
- Die Digitalisierung und Dokumentation der Kontextmaterialien konzentriert sich in der ersten Phase auf erhaltene Dokumente und Korrespondenz aus den beteiligten Wörterbuchstellen und Institutionen. Die Bestände aus Wien und München konnten bereits vollständig digitalisiert werden; für den Marburger Bestand steht noch die Bearbeitung des Konvoluts and Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus.
- Die Erschließung der Zeitungsüberlieferung gestaltet sich aufgrund der bislang erst in Ansätzen erfolgten Digitalisierung der deutschsprachigen Zeitungen schwierig, weshalb zunächst eine Pilotstudie zu den bayerischen Zeitungen geplant ist, für die bereits größere Teilbestände digital vorliegen.